Gedanken von Lutz Berners: Ist die Mobilitätswende gerecht?
Gedanken von Lutz Berners: Ist die Mobilitätswende gerecht?
Seit wir uns im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums intensiv mit der Elektromobilität beschäftigen, werden wir immer wieder auf große Fragen angesprochen. Funktioniert Elektromobilität überhaupt? Wie können die Bedürfnisse der privaten und gewerblichen Fahrzeughalter durch Elektromobilität gedeckt werden? Welche Herausforderungen kommen auf Automobilhersteller und -zulieferer zu? Was ist mit den Arbeitsplätzen? Manchmal sind die Diskussionen sachlich, manchmal sind sie emotional. Die sachlichen Diskussionen sind weniger problematisch. Interessant wird es, wenn sie emotional werden. Letztlich gehen diese Gespräche dann um die Frage: Ist die Mobilitätswende gerecht?
Naturgemäß lässt sich eine solch gigantische Frage nicht in einem kurzen Newsletter-Beitrag beantworten. Ich möchte hiermit einige Gedankenanstöße geben, aus der sich vielleicht weitere Diskussionen ergeben können. Sprechen Sie mich gern an!
Teil 1: Klimawandel – und die Rolle der Elektromobilität bei seiner Bewältigung
Es besteht inzwischen weitgehend Konsens in Europa, dass der Klimawandel menschengemacht ist und, falls er mittelfristig nicht gestoppt wird, eine existentielle Bedrohung unserer Lebensweise darstellen wird. Strittig ist hingegen die Frage, welche Rolle ein einzelnes Land wie Deutschland hat und haben sollte. Hierzu zwei Denkanstöße:
Was können WIR überhaupt tun? Und warum gerade wir? Die CO2-Emissionen in Deutschland machten 2018 gut 2,08 % der globalen Emissionen aus. Das hört sich nach wenig an. Aber: Der Einsatz der Produkte der deutschen Industrie ist für weit mehr CO2-Emissionen verantwortlich – allein die des Volkswagen-Konzerns für 2% weltweit. Ein einzelnes Unternehmen – zwei Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes! VW-Chef Herbert Diess hat diesen Zusammenhang (ich vermeide bewusst das Wort „Verantwortung“) klar benannt und VW auf die Fahnen geschrieben, bei der Elektromobilität für den Massenmarkt die Führung zu übernehmen. Ähnlich dürfte es bei anderen Industrieunternehmen aussehen. Elektromotoren, zum Beispiel, verbrauchen ca. die Hälfte des weltweit produzierten Stroms; die Optimierung ihres Einsatzes (z.B. durch intelligente Steuerungen) ist ein Thema für die führenden deutschen Unternehmen der Elektrotechnik. Und wenn die Deutschen vorlegen, ziehen die anderen nach. Fazit: Deutsche Unternehmen haben einen sehr großen Einfluss auf die CO-Intensität der globalen Wirtschaft.
Welche Rolle spielt die Elektromobilität? Um die CO2-Intensität der verschiedenen Antriebsformen ist eine Art Glaubenskrieg entbrannt. Befürworter der verschiedenen Technologien überbieten sich gegenseitig mit Berechnungen und Studien, die die anderen Technologien negativ darstellen. Diese Diskussion verfehlen jedoch den Punkt: Wir brauchen mittelfristig eine Mobilität, die CO2-neutral funktionieren kann. Und dieses Potential hat nur die Elektromobilität (Batterie und Wasserstoff-Brennstoffzelle), denn nur sie kann mit machbarem Aufwand mit regenerativen Energien betrieben werden. Zwar sind auch Verbrennungskraftstoffe mit regenerativem Strom herstellbar („Power-to-Liquid, P-t-L“), doch die Wirkungsgrade dieser Technologien sind (und bleiben!) so gering, dass der Betrieb der Massenmobilität mit ihnen ein Vielfaches des Strombedarfs der Elektromobilität hätte. Die Umstellung der Energiebereitstellung auf regenerative Energien („Energiewende“) ist sowieso schon eine Kalkulation mit spitzem Bleistift: Wir müssen den Strombedarf eher senken als steigern. Die Elektrifizierung des deutschen PKW-Verkehrs auf batterieelektrisch würde den deutschen Strombedarf um etwa ein Viertel steigern. Mit P-t-L würde sich der deutsche Strombedarf etwa verdoppeln bis verdreifachen – nicht machbar. Power-to-Liquid wird daher solchen Anwendungen vorbehalten bleiben, in denen Elektromobilität dauerhaft nicht wirtschaftlich ist (z.B. Flugverkehr).
Elektromobilität „mit der Brechstange“? Momentan schwenken die Automobilhersteller und die Politik massiv auf Elektromobilität um. Warum diese Eile? Planen wir mal rückwärts. Wenn wir im Jahr 2050 CO2-neutral sein wollen, muss bis dahin der gesamte Fahrzeugbestand CO2-neutral fahren. Das Durchschnittsalter von PKW in Deutschland (PKW machen 75% der CO2-Emissionen aus) beträgt 13 Jahre. Es muss also (vereinfacht gesagt) im Jahr 2037 der letzte Verbrenner vom Band laufen. Der Marktanteil von Elektro-PKW muss also von unter 1% (2019) auf 100% (2037) steigen. Hoppla, das ist flott. Im Jahr 2030 sollen zwischen 7 und 10 Millionen Elektro-PKW auf Deutschlands Straßen fahren (von ca. 40 Millionen gesamt). Das geht alles schon in die richtige Richtung. Natürlich ist das ein gigantisches Unterfangen, aber es geht ja auch um viel. Die Frage, ob „wir“ (Automobilindustrie? Politik? Verbraucher?) hier spät dran sind, bringt uns nicht weiter. Die Herausforderung ist da, und sie wird angegangen.
Und was machen die anderen großen Länder? Das ist ein guter Punkt. Die USA sind ein eigenes Thema, das ich gern bei Nachfrage separat vertiefen kann. Wichtiger aber ist China, aus zwei Gründen: Zum Einen ist China, bei weitem, der größte Fahrzeugmarkt und wird noch weiter wachsen. Zum Anderen werden die chinesischen Fahrzeughersteller mittelfristig auf Drittmärkten stark aktiv werden. Als Teil der groß angelegten Industriepolitik forciert China insbesondere die Entwicklung marktreifer Produkte (Fahrzeuge) und die Schaffung eines tragfähigen Markts (ca. 2 Millionen Fahrzeuge pro Jahr ab 2020). Hierfür hat die chinesische Regierung viele zig Milliarden Euro an direkten und indirekten Subventionen gezahlt. Ob die dominanten Fahrzeughersteller letztlich chinesische oder westliche Unternehmen sein werden, steht auf einem anderen Blatt. Ich würde sagen, es sieht für die deutschen Hersteller nicht ganz schlecht aus. Hierzu können wir sicherlich im Laufe des Jahrs 2020, wenn die deutschen Volumenmodelle in China auf den Markt kommen, mehr sagen. Aber mittel- und langfristig sollten wir uns darauf einstellen, dass in Drittmärkten der Wettbewerb der deutschen Hersteller aus dem Reich der Mitte kommt. Und nun doch noch ein Kommentar zu den USA: Der jeweilige Heimatmarkt ist für die Hersteller enorm wichtig, um neue Technologien entwickeln zu können, während man durch den Heimvorteil einen gewissen Schutz genießt. Falls die USA die Elektrifizierung des eigenen Markts nicht fördern, machen sie es den eigenen Herstellern (sowieso schon nicht führend bei der Energieeffizienz) noch schwerer, international wettbewerbsfähige Fahrzeuge zu entwickeln.
Soviel zu den Grundlagen. Ich freue mich auf eine angeregte Diskussion hierzu! Sprechen Sie mich gern an.
Im nächsten Teil gebe ich einige Denkanstöße zum Thema „Verkehr und Verkehrswende“. Bis dahin wünsche ich eine gute Zeit und viele interessante Gedanken!
Ihr
Lutz Berners
Bei Fragen zur Mobilitätswende wenden Sie sich bitte an Herrn Lutz Berners, lberners@bernersconsulting.com.