Gedanken von Lutz Berners: Verkehr und Verkehrswende
Gedanken von Lutz Berners: Ist die Mobilitätswende gerecht?
Teil 2: Verkehr und Verkehrswende
Seit wir uns im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums intensiv mit der Elektromobilität beschäftigen, werden wir immer wieder auf große Fragen angesprochen. Funktioniert Elektromobilität überhaupt? Wie können die Bedürfnisse der privaten und gewerblichen Fahrzeughalter durch Elektromobilität gedeckt werden? Welche Herausforderungen kommen auf Automobilhersteller und -zulieferer zu? Was ist mit den Arbeitsplätzen? Manchmal sind die Diskussionen sachlich, manchmal sind sie emotional. Die sachlichen Diskussionen sind weniger problematisch. Interessant wird es, wenn sie emotional werden. Letztlich gehen diese Gespräche dann um die Frage: Ist die Mobilitätswende gerecht?
Naturgemäß lässt sich eine solch gigantische Frage nicht in einem kurzen Newsletter-Beitrag beantworten. Ich möchte hiermit einige Gedankenanstöße geben, aus der sich vielleicht weitere Diskussionen ergeben können. Sprechen Sie mich gern an!
*** Falls Sie sich persönlich in diese Diskussion einklinken möchten, können Sie am World Café zum Thema „Herausforderung Technologiezukunft“ teilnehmen, das ich moderieren werde. Es findet im Rahmen des 20. Internationalen Stuttgarter Symposium des Forschungsinstituts für Kraftfahrwesen und Fahrzeugmotoren Stuttgart (FKFS) am 17. und 18.03.2020 statt. Infos zur Anmeldung finden Sie hier. ***
Im vorherigen Teil 1: Klimawandel – und die Rolle der Elektromobilität bei seiner Bewältigung ging ich auf die grundlegende Rolle der Mobilität beim CO2-Ausstoß ein.
Im heutigen Teil 2: Verkehr und Verkehrswende schaue ich bei der Nutzung der Mobilität etwas genauer hin.
Wie es danach weitergeht, entscheiden Sie selbst - siehe Handlungsaufruf ganz am Ende.
Verkehr und Verkehrswende
Kaum ein Aspekt ist so grundlegend für unsere Gesellschaft wie die Mobilität. Als Gedankenexperiment: Zeichnen Sie mal auf, was in Ihrem Haus wichtig ist, das NICHT mit einem Kraftfahrzeug angeliefert wurde. Heraus kommt wahrscheinlich ein Bild wie dieses:
Rolle des Kraftfahrzeugs in unserem Leben. Zeichnung: Lutz Berners
Auch der Gesetzgeber versteht sehr gut, wie wichtig die individuelle Mobilität für unsere Gesellschaft ist. Besonders interessant finde ich hierbei die „Gesetzeskarte Elektromobilität“ der Nationalen Organisation Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NOW), die die zentralen Strategien, Gesetze und Verordnungen (also nur die ganz wichtigen) übersichtlich darstellt (wenn Sie auf das Bild klicken, gelangen Sie zur interaktiven Gesetzeskarte - es lohnt sich!):
Zentrale Strategien, Gesetze etc. für die Elektromobilität (c) NOW GmbH
Es sind 51 zentrale Strategien, Gesetze und Verordnungen auf EU-, Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene, die alle aufeinander abgestimmt werden müssen. In Deutschland allein. Die EU hat ja noch 26 weitere Staaten, und Großbritannien sollte vielleicht auch noch in die Abstimmung der Gesetze einbezogen werden. Eventuell.
Unsere Städte wurden in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts in „autogerechte“ Städte umgebaut. Heute wird der Begriff als Inbegriff der abzuschaffenden Stadtplanung dargestellt, so in etwa: "unsere Städte wurden dem Auto geopfert". Doch führen wir uns mal vor Augen, was der Begriff damals bedeutete: Die Städte waren auf den Nachkriegsboom und das Wachstum des PKW-Bestands überhaupt nicht eingestellt. Es fehlte an Infrastruktur. Die Straßenführung war aus der Vorkriegszeit. Der Wiederaufbau war noch im Gange. Autos parkten damals praktisch überall, und viele verfügbare Flächen wurden geopfert. In der Stuttgarter Innenstadt regierte also das Auto - für Fußgänger war kaum Platz. Um ein Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Nutzungen herzustellen und die neue Mobilität (das Auto) einzubinden, suchte man neue Planungskonzepte: die "autogerechte" Stadt. Als Teil der "autogerechten" Stadt wurde in den 60er Jahren die Haupteinkaufsstraße, die Königstraße, zur Fußgängerzone. Die Innenstadt wurde untertunnelt, und es entstanden die mehrspurigen Bundesstraßen durch die Innenstadt. Heute werden sie als "Trennschneisen" geschmäht. Damals lösten sie ein viel größeres Problem, nämlich: Das öffentliche Leben in der Innenstadt war gar nicht mehr umfänglich möglich, weil überall Autos fuhren und parkten. Hört sich seltsam an? Dann empfehle ich diesen aktuellen Artikel mit Fotos in der Stuttgarter Zeitung.
Stuttgarter Marktplatz in den 60er Jahren. Damals war Stuttgart noch nicht "autogerecht". Quelle: Stuttgarter Zeitung / Silvie Brucklacher-Gunzenhauser
In den 60ern ging es also weniger darum, die Stadt dem Auto zu opfern, sondern vielmehr, den Autoverkehr so zu umzulenken, dass die Menschen dort wieder gut leben konnten. Nicht vergessen: Der schöne Stuttgarter ÖPNV mit sauberen Stadtbahnwagen, einem gigantischen Streckennetz in enger Taktung und einer guten Anbinung der Vororte und des Umlands ist die heutige Situation - damals gab es das nicht in der Ausprägung. Man musste schon mit dem Auto in die Stadt fahren, oder die Fahrt war mühsam und langwierig. Bis in die 1970er fuhren auf der Königstraße noch Straßenbahnen. Fußgänger lebten selbst in der Fußgängerzone durchaus gefährlich. Erst mit dem Bau des Stadtbahnnetzes, mit dem die Straßenbahnen in der Innenstadt unterirdisch fahren, entstand eine echte Fußgängerzone. Herzstück des neuen Stadtbahnnetzes ist der 1976 fertiggestellte Arnuf-Klett-Platz. Heute wird er als einer der unangenehmsten Orte Stuttgarts verschrien. Aber damals war der (nach dem Nachkriegsbürgermeister und Stadtbahn-Durchsetzer Arnuf Klett benannte) Verkehrknotenpunkt eine Revolution, da er die Intermodalität (ein Modewort, aber nicht wirklich neu!) tatsächlich verkörperte.
Unsere ländlichen Regionen hingegen leben großteils davon, dass Menschen dezentral in kleinen Dörfern leben und mit dem Auto zu weit entfernten Arbeitsstätten pendeln. Wir fahren mit dem Auto in den Urlaub, wir ziehen mit dem Auto um, wir ziehen in jungen Jahren mit dem Auto um die Häuser. Hierbei geht es mir gar nicht so sehr um ein Lebensgefühl oder um Auto-Emotionen, sondern um ganz pragmatische Erwägungen: Ohne PKW würde unser Land ganz anders aussehen. Und anders als in den 50er und 60er Jahren leben wir nicht in einem Nachkriegsland, das notgedrungen aus Ruinen wieder aufgebaut werden muss, sondern in einer satten, aufgehübschten und sauberen Wohlstandsoase, die die meisten ihrer Bewohner eigentlich gern auch so behalten würden. Jeder Hausbauer weiß, dass Änderungen im Bestand sehr viel schwieriger sind als während der Neubauphase. Und der Schwenk von der autogerechten Stadt hin zu einem neuen Modell erfordert signifikante Eingriffe in den Bestand unserer Städte. Das wird teuer. Und unbeliebt.
Mal ganz davon abgesehen, dass außerhalb der Städte die Mobilität ohne Auto sehr schwierig ist. Ich bin zufriedener ÖPNV-Nutzer und Fahrradfahrer – aber auch nur deshalb so zufrieden, weil das für mich an Wohn- und Arbeitsort perfekt funktioniert. Drei Gehminuten von unserer Haustür ist der größte Stuttgarter U-Bahn-Knotenpunkt außerhalb der Innenstadt, von dem aus ich an nahezu jeden Punkt Stuttgarts ohne oder mit maximal einmal Umsteigen kommen kann. Zwischen meinem Haus und meinem Büro gibt es weder unangenehme Hauptverkehrsstraßen noch große Steigungen, so dass Fahrradfahren angenehm und sicher ist. Trotzdem darf auch bei uns ein Familienauto zur ständigen Verfügung nicht fehlen, denn der tägliche Stress mit Vollzeit-Berufstätigkeit und zwei kleinen Kindern erfordert auch mal schnelle Mobilität. Doch wie viele Einwohner Deutschlands haben eine solche bequeme Situation? Verwandte von mir leben in einem kleinen Dorf in einem Tal in der Eifel. Der Bus in die nächste Kleinstadt kommt nur an Schultagen. Einmal täglich. Ich habe in der Region noch nie ein Fahrrad gesehen – aus gutem Grund, bei all den Bergen. Wie soll dort eine autofreie Mobilität aussehen?
Hinzu kommt, dass CO-neutrale Mobilität sehr viel weniger vielseitig ist als Verbrenner-Mobilität. Ein Batteriefahrzeug hat eine begrenzte Reichweite, eine lange Ladezeit und einen hohen Anschaffungspreis. Es ist also nur für einen Teil der Bevölkerung sinnvoll, z.B. für Stadtbewohner oder für Land-Stadt-Pendler. Es ist weniger sinnvoll für Langstreckenfahrer oder Gelegenheitsfahrer. Ein Wasserstoff-Brennstoffzellenfahrzeug hingegen wird (auch im Zielzustand) von einem sehr viel dünneren Wasserstoff-Tankstellennetz versorgt sein als die heutigen Benzintankstellen. Es ist also auch nur für einen Teil der Bevölkerung sinnvoll, z.B. für Langstreckenfahrer, die dazu noch nah an den Wasserstoff-Tankstellen wohnen oder regelmäßig an ihnen vorbeifahren. Eine Autokäuferin muss also gut abwägen, wie sie ihr Fahrzeug über die Lebensdauer einsetzen will, bevor sie die Kaufentscheidung trifft. Oder das Fahrzeug nur noch leasen statt es zu kaufen.
A propos leasen statt kaufen. Das bringt mich zum Thema Car Sharing, also das kurzzeitige Anmieten von Fahrzeugen z.B. nur für eine Fahrt. Im Normalfall wird durch Car Sharing weder CO2 eingespart noch die Anzahl der produzierten Fahrzeuge gesenkt, denn die Fahrzeug-Kilometer pro Person bleiben ja gleich. Sie können sogar steigen, wenn wegen der guten Verfügbarkeit und der niedrigen Kosten der Car Sharing-Fahrzeuge Leute vom ÖPNV auf Car Sharing umsteigen oder einfach mehr fahren als ohne Car Sharing. Auch scheint das Car Sharing eine Art „Einstiegsdroge“ für einen späteren Autokauf zu sein. Doch es kann in den Städten das signifikante Platzproblem lösen, das von parkenden Autos verursacht wird. Private Autos stehen ja für durchschnittlich 23 Stunden pro Tag auf einem Parkplatz, und in den Innenstädten heißt dies meistens: auf der Straße, wodurch Platz z.B. für Fahrradfahrer verloren geht. Zudem eliminiert Car Sharing das Problem des hohen Anschaffungspreises. Übrigens funktioniert das auch im ländlichen Raum – hier ein Beispiel aus Jesberg bei Marbach. Die Sharing Economy als Katalysator für den Hochlauf der alternativen Antriebe? Vielleicht.
Wenn wir die Anzahl der gefahrenen Fahrzeug-Kilometer reduzieren wollen, ohne unsere Mobilitätsintensität zu senken, dann gibt es ja noch die Möglichkeit des Ride Sharing. Früher hieß das Sammeltaxi. Ein schönes Konzept in der Theorie, aber nicht so ganz einfach in der Praxis. Ein wichtiger Grund für viele Leute, mit dem eigenen Auto zu fahren, ist die Privatsphäre und die Abschottung gegenüber der Außenwelt. Im ÖPNV kommt man auf Tuchfühlung mit den Mitreisenden, aber man ist in einem öffentlichen Raum und hat somit ein Gefühl von Anonymität und, ja, Sicherheit. Beim Sammeltaxi hingegen ist man mit Personen auf kleinstem Raum in einem Auto, von denen man sonst in der U-Bahn vielleicht den größtmöglichen Abstand halten würde. Denken Sie mal nach – wie oft nehmen Sie Personen in Ihrem Auto mit, die Sie nicht gut kennen? Warum wohl? Diese Frage ist sicherlich lösbar, und sie muss gelöst werden, damit Ride Sharing sich durchsetzen kann.
Es ist also alles nicht ganz so einfach mit der Mobilitätswende. Glücklicherweise müssen wir alle das Rad nicht selbst neu erfinden: eine Gruppe, die das sehr gut macht, sind die Experten von der Agora Verkehrswende. Auch die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM) hat interessante Analysen. Und natürlich macht sich auf der VDA Gedanken. Wie gesagt, dies sind nur Gedankenanstöße – Wahrheiten sind rar heutzutage.
Es bleiben noch viele Aspekte zu besprechen, zum Beispiel:
- Industrie, KFZ-Gewerbe, Arbeitsplätze
- Resourcenbilanz und Kreislaufwirtschaft
- Wie sieht das Auto der Zukunft aus?
- Andere Länder, andere Mobilitätskonzepte: China, USA, Indien etc.
Nun sind Sie gefragt: Was soll das nächste Thema sein? Schreiben Sie mir gern!
Bis dahin wünsche ich eine gute Zeit und viele interessante Gedanken!
Ihr
Lutz Berners
Bei Fragen zur Verkehrsswende wenden Sie sich bitte an Herrn Lutz Berners, lberners@bernersconsulting.com.